Rede zum 25. Sommerfest 2015
Sehr geehrte Anwesende,
liebe Mitglieder und Freunde der Lebenshilfe,
es ist kaum zu glauben. Aber ist es wirklich schon ¼ Jahrhundert her, dass wir Petra Stößer-Pfefferkorn (an meiner Seite), Ursula Henkel und ich, Christel Günther den Verein Lebenshilfe im Kreis Aue gegründet haben.
Uns 3 hat die Tatsache verbunden, dass Mütter von Kindern waren die durch ihre Behinderung eine besondere Fürsorge brauchten.
Wie kamen wir auf die Idee einen Verein zu gründen?
Wir hatten gehört, dass in Flöha eine Mutter eines behinderten Sohnes einen Verein Lebenshilfe gegründet hat, der in der Lage war Entscheidungen über die Entstehung von Fördereinrichtungen und Einrichtungen der Behindertenhilfe mit zu tragen. Das gefiel uns sehr. Wir kannten uns aus der rehabilitationspädagogischen Tagesstätte, die unsere Kinder besuchten. Nach mehreren Gesprächen planten wir die Gründungsversammlung, schrieben Einladungen, waren dabei als die Lebenshilfe DDR in Berlin entstanden ist und hatten von Stunde an nur noch unser großes Vorhaben vor Augen, nämlich eine Lebenshilfe im Kreis Aue die für alle offen ist.
Wir haben Unterstützung und Hilfe erfahren. Allerdings gab es auch Personen denen unser großes Vorhaben ein Dorn im Auge war. So hörten wir Aussprüche, wie:“ Wie wollen Sie denn so etwas machen? Können Sie das überhaupt? Es ist doch alles gut in der Betreuung behinderter Kinder.“ Diese Meinung konnten wir nicht teilen, weil es Behördenwillkür gab. Manche behinderten Kinder wurden ausgegrenzt, als „nicht förderfähig“ bezeichnet und plötzlich dazu verurteilt nur noch zu Hause zu sein. Das wollten wir nicht mehr hinnehmen und so setzten wir unsere Idee in die Tat um.
Zu unserer großen Freude füllte sich der Saal unserer Gründungsveranstaltung in der „Goldenen Sonne“ in Schneeberg am 09.Mai 1990 sehr schnell und am gleichen Abend gaben 35 Personen ihre Mitgliedsanträge bei uns ab. Dabei waren auch Personen die keine behinderten Angehörigen hatten und auch Fachleute die beruflich mit behinderten Kindern arbeiteten. Diese Tatsache gab unserer Arbeit neue Impulse. Damals ahnten wir noch nicht wie viel Freude, aber auch wie viele schlafslose Nächte uns die Lebenshilfe noch bereiten sollte.
Eine Bankmitarbeiterin spendete uns spontan ein Monatsgehalt für den Aufbau des Vereins. Wöchentlich führten wir Sprechstunden im Puschkinhaus durch und die Mitgliederzahlen stiegen wöchentlich. So kam z. Bsp. auch Familie Englert zu uns. Vielen konnten wir wieder Hoffnung und Zuversicht vermitteln. Das SPZ schickte uns oft interessierte Eltern. Wir hörten auch, was haben Sie nur mit Frau … gemacht. Sie ist wie ausgewechselt.
Bald mieteten wir eine Wohnung für die Vereinsarbeit an und wir bauten einen FED auf. Im Gelände des Diakonissenhauses Zion fand das 1. Sommerfest für betroffene Familien statt.
Wir wurden Gesellschafter der Behindertenwerkstatt, heute INVITAS, drängten den Kreisschulrat eine Schule für geistig behinderte Kinder zu eröffnen und nahmen Kontakt zur Lebenshilfe Solingen auf, die uns mit Rat und Tat zur Seite stand.
Ich könnte noch viel berichten.
Heute sind wir stolz auf unser Lebenswerk. Es gibt noch viel zu tun. Die Lebenshilfe hat unser Leben bereichert und wir haben wertvolle Menschen kennen gelernt, die wir sonst nicht getroffen hätten.
Auch wenn meine Tochter Claudia leider nicht mehr lebt, werde ich weiter meine Kraft dem Verein geben.
Wir haben es nicht bereut uns für andere eingesetzt zu haben und wir würden es wieder tun.
Wie kam es, dass in Aue eine Lebenshilfe gegründet wurde?
Genau vor 20 Jahren, im Februar 1990, las ich in der „Freien Presse“, dass in Flöha eine Lebenshilfe von Frau Otto gegründet wurde. Genau wie ich, war sie Mutter eines schwerbehinderten Kindes.
Der Zeitungsartikel lies mich nicht mehr ruhig schlafen. Denn wie Frau Otto war auch ich der Meinung, dass jetzt mit der politischen Wende uns die Möglichkeit gegeben wurde, die Geschicke unserer behinderten Angehörigen selbst in die Hand nehmen zu können.
Ich hatte auch schon eine Idee, wie es zu einer
„Lebenshilfe Aue e. V.“ kommen könnte.
Allerdings wusste ich damals noch nicht, was damit alles auf mich zu kommen würde.
Meine Tochter war zu dem Zeitpunkt 7 Jahre alt und besuchte eine „Rehabilitationspädagogische Tagesstätte“. Eine Schulpflicht gab es für so schwer behinderte Kinder, wie meine Tochter es war, nicht.
In dieser Tagesstätte kam ich mit anderen Eltern oft ins Gespräch, und ich suchte mir Verbündete, die mir geeignet erschienen, gemeinsam mit mir einen Verein „Lebenshilfe e. V. Aue“ zu gründen.
Mit Frau Petra Stößer und Frau Ursula Henkel traf ich mich ab März 1990 ein bis zwei Mal wöchentlich, um eine Gründung der Lebenshilfe im Kreis Aue vorzubereiten.
Uns half die Gründung der „Lebenshilfe DDR“ im April 1990 in Berlin. An der Gründungsveranstaltung nahmen wir teil. Dadurch erhielten wir viele wertvolle Tipps, die wir für die Gründung unseres Vereins brauchten.
Nun gab es kein Halten mehr. Zu dritt legten wir einen Gründungstermin fest, kümmerten uns um geeignete Räumlichkeiten und schrieben Einladungen. Es sollte der 9. Mai 1990 sein, der als „Geburtstag“ der Lebenshilfe in die Geschichte einging.
Wir bereiteten die Veranstaltung in der Gaststätte „Sonne“ in Schneeberg vor. Es waren nicht nur betroffene Eltern geladen, sondern auch Fachleute, die mit der Betreuung unserer Kinder direkt oder indirekt zu tun hatten.
Sehr erstaunt und erfreut zugleich waren wir über den großen Zuspruch. Der Saal füllte sich sehr schnell, und noch am gleichen Abend traten 35 Personen der „Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Regionalvereinigung Aue“ bei.
Mehrere Personen entschieden sich in den nächsten Wochen
für eine Mitgliedschaft.
Nun entschlossen wir uns, wöchentliche Sprechstunden für Angehörige von geistig behinderten Menschen und natürlich für Behinderte durchzuführen. Unterstützung bekamen wir vom „Neuen Forum“ in Aue, die uns jeden Don-nerstag am Abend ihre Räumlichkeiten dafür zur Verfügung stellten. Es freute uns sehr, dass immer mehr Personen Rat und unsere Hilfe dankbar in Anspruch nahmen.
Die Organisation eines Transportes unserer Kinder in die Betreuungseinrichtungen betrachten wir als notwendige Erstmaßnahme, weil bis dahin jede Mutter oder jeder Vater sein Kind selbst dorthin bringen musste, ob ein Auto vorhanden war oder nicht. Deshalb haben wir begonnen, die behinderten Kinder zuerst transportieren zu lassen, deren Eltern kein Auto hatten. Das führte zu ersten Problemen, denn plötzlich wollte jeder von der Erleichterung profitieren, obwohl wir selbst (als Gründungstrio) unsere Kinder mit unseren Autos täglich gefahren haben.
Eine weitere Aufgabe erledigten wir mit der Anmietung von eigenen Vereins-räumen in der Alfred-Brodauf-Straße in Aue. Dort begann Ursula Henkel, einen „Familienentlastenden Dienst“ aufzubauen. Dieser wurde anfänglich sehr schleppend angenommen.
Es folgten Vereinsfeste, die es vorher nie gab. So viele behinderte Kinder und deren Eltern feierten gemeinsam. Heute betrachte ich die Gründung der Lebenshilfe im Kreis Aue als etwas ganz besonderes. Wir haben die Gunst der Stunde genutzt und selbst unser Schicksal in die Hand genommen. Wir haben sehr viel Hilfe erfahren, aber mussten auch Rückschläge einstecken. Trotzdem kann ich heute sagen: „Ich würde es wieder tun“.
Christel Günther, Vorsitzende der Lebenshilfe bis 1993.